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Liebe Buchclub-Teilnehmer*innen,

ich freue mich, Sie durch den zweiten Monat unseres Buchclubs zu begleiten.

Für März habe ich ein Buch ausgewählt, dass ich zuerst gar nicht lesen wollte. Ich bin immer zögerlich, wenn ein Buch noch vor Erscheinen als Bestseller angekündigt wird, große Verkaufspakete von den Verlagen geschnürt werden, sich die Feuilletons der großen Zeitungen schier überschlagen vor Begeisterung.

Allerdings war auch meine Kollegin Barbara Spiegel-Lein nach erster Lektüre sehr begeistert und sagte mir voraus, dass ich, wenn ich den ersten Band „Kindheit“ gelesen hätte, diese Geschichte über den steinigen Weg eines ungebildeten Arbeiterkindes zur gefeierten Schriftstellerin sofort würde weiterlesen wollen.

Und, was soll ich sagen: genauso war es auch. Gebannt schon vom ersten Satz

„Am Morgen war die Hoffnung da. Sie saß als flüchtiger Schimmer im glatten, schwarzen Haar meiner Mutter, das ich nie zu berühren wagte, und sie lag mir auf der Zunge wie der Zucker im lauwarmen Haferbrei, den ich langsam verspeiste, während ich ihre schmalen, gefalteten Hände betrachtete, die reglos auf den Zeitungsberichten über die Spanische Grippe und den Versailler Vertrag ruhten.“


konnte ich mich dem Sog dieses autofiktionalen Textes (in dem Erlebtes und Erfundenes verschmelzen) kaum entziehen. Durchaus aus dem naiven Blickwinkel der kleinen Tove geschrieben, scheinen immer wieder Reflexionen der erwachsenen Tove durch, in Sätzen, die man sich sofort aufschreiben möchte:

„Ich weiß, dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit hat, so, wie jedes Kind seine eigene Kindheit. (…)
Der Kindheit kann man nicht entkommen, sie hängt an einem wie ein Geruch. Man bemerkt sie auch an anderen, und jede Kindheit riecht anders. Den eigenen Geruch kennt man nicht und fürchtet manchmal, er könnte schlimmer sein als bei den anderen. Wir stehen da und reden mit einem Mädchen, dessen Kindheit nach Asche und Kohle riecht, und plötzlich weicht das Mädchen einen Schritt zurück, weil es den furchtbaren Gestank unserer Kindheit wahrgenommen hat. (…)
Die meisten Erwachsenen behaupten, sie hätten eine glückliche Kindheit gehabt, und vielleicht glauben sie das wirklich, aber ich tue es nicht. Ich glaube, es ist ihnen lediglich gelungen, sie zu vergessen.“


Die dänische Schriftstellerin und Lyrikerin Tove Ditlevsen (1917-1976) hat ihre Kindheit nicht vergessen, sondern aufgeschrieben.

Ich wünsche Ihnen ein wunderbares Leseerlebnis mit unserem März-Buch „Kindheit“ von Tove Ditlevsen, dem ersten Teil ihrer Kopenhagen-Trilogie.

Mit herzlichen Grüßen
Ute Hentschel

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