
Ein großer Roman über ein kleines Theater
Nach einer Vorstellung im berühmten Augsburger Puppentheater gerät ein 12-jähiges Mädchen durch eine unscheinbare Tür - in bester Alice-im-Wunderlandmanier - auf den verwunschenen Dachboden des Theaters. Auf den Weg nach oben, beleuchtet vom Licht ihres I-Phones, schrumpft sie auf Marionettengröße und trifft in der Dunkelheit auf eine Menge alter Bekannter: Jim Knopf, den Lokomotivführer Lukas, das Urmel, den kleinen König Kalle Wirsch und den Kater Mikesch. Und sie trifft auf die Frau, die diese Marionetten geschnitzt hat und die ihr die Geschichte des berühmten Theaters erzählt. Sie erzählt ihre Familiengeschichte beginnend in den Jahren des zweiten Weltkriegs. Hatü (Hannelore Öhmchen) wächst in den Zeiten des Nationalsozialismus auf, erlebt Deportation der Nachbarn ohne das sie die Folgen wirklich begreift. Der Vater Walter Oemchen, Schauspielleiter in Augsburg ist kein bekennender Nazi, aber eben auch kein offener Widerständler wird 1939 eingezogen. Er kehrt aus dem 2. Weltkrieg zurück -mit der ersten Marionette und gründet die "Puppenkiste". In den Bombennächten von 1944 verbrennt es zu Schutt und Asche.
Nach dem Ende des Kriegs gründet die Familie Oemchen das Puppentheater neu- mit jungen PuppenspielerInnen und SprecherInnen. Sie wollen ein Erlebnis erschaffen - für Kinder, aber auch für Erwachsene, dass nicht vom Geist des Nationalsozialismus vergiftet ist- der versuch einer moralischen Reinigung der Kunst, ohne Menschen, die vorbelastet durch die Jahre des Nationalsozialismus sind. Ein Theater, das frei ist "vom Erbe der Väter"- vielleicht sind so viele der Augsburger Puppen aus diesem Grund auch Waisen. Sie spielen Märchen, Saint-Exupéry, Brecht und schließlich Michael Ende. Hatü gibt den Figuren ihr Gesicht und ihre Seele . Sie erschafft die Figuren mit denen Generationen von Westdeutschen sozialisiert worden- Jim Knopf, das Urmel, Kalle Wirsch! Sie erschafft aber auch - als erste ihrer Figuren - den "Kasperl" - der sie aus tiefliegenden Gründen bis auf den verwunschenen Dachboden verfolgt.
Die verschworene Gemeinschaft des Dachbodens will mit Hilfe des Mädchens gegen diesen "bösen" Kasperl vorgehen. Sie wollen verhindern, dass er in die Welt der Menschen eindringen kann. Am Ende wird seine Geschichte (doch noch) richtig erzählt. Dabei wird deutlich, dass Menschen von Ressentiments vergiftet werden können, auch wenn sie eine Ideologie eigentlich ablehnen. Der Autor schafft den Spagat zwischen Vergangenheitsbewältigung und Fantasiewelt in einer bewundernswerten Leichtigkeit. In diesem Buch wird die (Nach-)Kriegsgeschichte, die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands und auch die Nachwirkungen der jahrelangen Indoktrination in der Gesellschaft deutlich.
Dieses Buch hat mich, mit seinem Thema - als kindlichen Fan der Augsburger Puppenkiste - natürlich direkt angesprochen. Der "Herzfaden", der unsichtbare Faden, der die ZuschauerInnnen mit der Marionette verbindet hat mich bei dieser Geschichte auch dirket erreicht, Ein beeindruckendes Buch, dass für mich völlig zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreis stehet. Ein Buch über die Natur des Menschen, der immer versucht, seine eigene Schuld "zu überspielen" - gespickt mit einem herrlichen surrealen Touch.
Ein großer Roman über ein kleines Theater: die Augsburger Puppenkiste.
Ein zwölfjähriges Mädchen gerät nach einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste durch eine verborgene Tür auf einen märchenhaften Dachboden, auf dem viele Freunde warten: die Prinzessin Li Si, Kater Mikesch, Lukas, der Lokomotivführer. Vor allem aber die Frau, die all diese Marionetten geschnitzt hat und nun ihre Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte eines einmaligen Theaters und der Familie, die es gegründet und berühmt gemacht hat. Sie beginnt im 2. Weltkrieg, als Walter Oehmichen, ein Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, in der Gefangenschaft einen Puppenschnitzer kennenlernt und für die eigene Familie ein Marionettentheater baut. In der Bombennacht 1944 verbrennt es zu Schutt und Asche. »Herzfaden« erzählt von der Kraft der Fantasie in dunkler Zeit und von der Wiedergeburt dieses Theaters. Nach dem Krieg gibt Walters Tochter Hatü in der Augsburger Puppenkiste Waisenkindern wie dem Urmel und kleinen Helden wie Kalle Wirsch ein Gesicht. Generationen von Kindern sind mit ihren Marionetten aufgewachsen. Die Augsburger Puppenkiste gehört zur DNA dieses Landes, seit in der ersten TV-Serie im westdeutschen Fernsehen erstmals Jim Knopf auf den Bildschirmen erschien.